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Das BeSOS Modell – Eine Einführung

Angesichts eines deutlichen Anstiegs von Schülerinnen und Schülern mit psychischen Belastungen, verstärkt durch die Auswirkungen der Pandemie, wird die Bedeutung einer gezielten Unterstützung von Kindern und Jugendlichen und damit auch von Lehrkräften im Umgang mit dieser Zielgruppe immer dringlicher.

Das BeSOS Modell bietet daher praxisnahe Anleitungen und Strategien, um psychisch belastete Schülerinnen und Schülern einfühlsam zu begleiten und sowohl ihre Lernfähigkeit, als auch ihre berufliche Orientierungsfähigkeit, wieder herzustellen.

Was passiert eigentlich bei psychischer Belastung im Körper?

Unsere Fähigkeit, auf Bedrohungen und Herausforderungen zu reagieren, ist durch tief verwurzelte biologische Mechanismen geprägt, die entscheidend für unser Überleben sind. Sobald wir Gefahren, herausfordernde Situationen oder Sorgen begegnen, reagiert unser Körper mit deutlichen physiologischen Veränderungen, die uns in Alarmbereitschaft versetzen. Diese Reaktionen sind essenziell, um uns kurzfristig mit den notwendigen Ressourcen auszustatten. Verharren wir jedoch zu lange in diesem Zustand, können daraus Stress und anhaltende psychische Belastungen entstehen.

Die hirnphysiologischen Zusammenhänge verstehen

Ein Verständnis für die Struktur unseres Gehirns ist unerlässlich, um diese Prozesse nachzuvollziehen, von denen sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrkräfte betroffen sind. Unser Gehirn besteht aus drei Hauptbereichen:

Das limbische System: Dieser alte Teil unseres Gehirns ist entscheidend für die Verarbeitung von Emotionen und spielt eine zentrale Rolle beim Lernen. Er agiert als eine Art Knotenpunkt, der unsere Erinnerungen sortiert und zugänglich macht.

Der Neokortex: Dies ist die evolutionär jüngste Region unseres Gehirns, die für bewusstes Denken und Handeln, Reflexion, logisches Problemlösen, Sprachverarbeitung sowie für das Speichern und Abrufen von Langzeiterinnerungen zuständig ist. Ohne den Neokortex wären unsere kognitiven Fähigkeiten stark eingeschränkt.

Das Stammhirn: Bekannt als unser Reptilienhirn, kontrolliert es lebenswichtige Funktionen wie Atmung, Herzschlag, Reflexe und Bewegung, gesteuert vom autonomen Nervensystem, ohne dass wir bewusst eingreifen müssen.

(Einfach auf die jeweiligen Punkte klicken)

Diese drei Gehirnregionen bilden ein komplexes System, das es uns ermöglicht, zu überleben, zu empfinden und zu denken. Sie zeigen auf, wie eng unsere kognitiven Funktionen, unsere emotionale Welt und die lebenserhaltenden Prozesse miteinander verwoben sind.

Der Überlebensmodus

Im Falle eines Ungleichgewichtes in Form von Stress oder (empfundener) Gefahr setzt eine für das Überleben existenzielle biologische Abwehr- und Schutzreaktion ein. Das Stammhirn übernimmt augenblicklich die Führungsrolle und ist befugt höher liegende Hirnareale einfach abzuschalten.

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Wenn Kinder in diesen biologischen Überlebensmechanismus fallen, können sie nicht lernen, merken sich sehr viel weniger, können nicht komplex denken und keine wichtigen Lebensentscheidungen sinnhaft treffen. Ein typisches Beispiel im Schulalltag ist der „Black-Out“ vor bzw. während einer Klassenarbeit oder eines Referates.

Das gleiche gilt allerdings auch für Lehrkräfte, wenn sie durch dauerhafte Überlastung ebenfalls nicht mehr über die nötige Resilienz verfügen um akute Belastungen auszugleichen. Auch sie werden in den biologischen Überlebensmechanismus getriggert. Als erstes geht hierbei die Fähigkeit verloren, eine pädagogische Beziehung zu den Kindern und Jugendlichen zu gestalten. Auf Dauer gefährdet dies die Gesundheit der Lehrkräfte.

Auf eine (gefühlte) Bedrohung reagieren Kinder und Erwachsene auf unterschiedliche Weise. Das Stammhirn (auch als „Krokodil- oder Reptiliengehhirn“ bekannt) nutzt dabei drei Hauptstrategien, die in der folgenden Abbildung näher veranschaulicht werden:   

Allen drei Reaktionsmustern gehen mit folgenden Eigenschaften einher:

  • fehlende Impulskontrolle
  • eingeschränkte Wahrnehmungsverarbeitung
  • Empfindungsverengung
  • Das Verhalten wird rein körperlich gesteuert – kognitiv nicht erreichbar

Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass nicht alle Menschen in selber Weise auf Stress reagieren oder zwangsläufig Belastungssymptome entwickeln.

Bei Schülerinnen und Schülern können bestimmte Stressfaktoren in unterschiedlichen Lebensphasen unterschiedlich relevant sein. Zum Beispiel können familiäre Konflikte während der Kindheit eine größere Rolle spielen, während ein schulischer Leistungsdruck während der Adoleszenz stärker ins Gewicht fällt. Ebenso können für Lehrkräfte Arbeitsbelastungen zu verschiedenen Zeitpunkten unterschiedlich erschwerend sein.

Der Triggerpunkt für den Wechsel in den Überlebensmodus ist höchst individuell und hängt nicht nur von aktuellen Problemlagen, sondern auch von der Ausgangslage der jeweiligen Person (Prädisposition) ab.

Achtung ansteckend!
Der Überlebensmodus wirkt sich ansteckend auf das gesamte schulische Umfeld aus, auch auf Sie als Lehrkraft, und Umgekehrt. Dieses Phänomen, bekannt als Co-Regulation, wird auf  noch ausführlicher besprochen.

Wenn Sie selbst, Kollegen oder Schüler im Überlebensmodus sind und mit Argumenten, Drohungen oder Sanktionen konfrontiert werden, ist es oft so, als spräche man zu einer Wand. In solchen Zeiten sind die Gehirnbereiche, die für Logik, Planung und Selbstkontrolle zuständig sind, heruntergefahren oder vollständig inaktiv.

Selbstregulation als Schlüssel

Der Schlüssel zum Verlassen dieses Zustandes liegt darin, das Stammhirn davon zu überzeugen, dass keine unmittelbare Lebensgefahr besteht.

Dies mag zunächst abstrakt klingen, wird jedoch verständlicher, wenn wir die Funktionsweise des Stammhirns betrachten: Bei einem Schreck, etwa durch eine plötzliche Bewegung im Augenwinkel, wird das Stammhirn aktiv und löst die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol und Adrenalin aus, was zu einer schnelleren Herzfrequenz, höherem Blutdruck, verengten Gefäßen und schnellerer Atmung führt. Diese Reaktionen bereiten den Körper auf die Grundstrategien des Überlebens – Kampf, Flucht oder Erstarrung – vor, noch bevor das Frontalhirn den Reiz vollständig verarbeiten kann. Normalerweise wird die wahrgenommene Bewegung schnell als harmlos identifiziert (z.B. ein wehendes Blatt), woraufhin das Frontalhirn das Stammhirn beruhigt und die Körperfunktionen sich normalisieren.

In unserer modernen Welt sind wir jedoch länger andauernden Stresssituationen ausgesetzt, die weit über das hinausgehen, was unsere Vorfahren erlebten. Die metaphorischen Säbelzahntiger von heute – seien es beruflicher Druck, Prüfungsängste, Zukunftsängste oder die ständigen Veränderungen unserer Zeit – lösen ähnliche Reaktionen aus. Auch Kinder sind durch Medien, schulische Herausforderungen, soziale Isolation oder ökologische und globale Sorgen dauerhaft hohen Belastungen ausgesetzt. Sie befinden sich quasi ständig in einem biologischen Alarmzustand, was ihre Fähigkeit zur Selbstregulation und Kontrolle erheblich einschränken kann.

Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass nicht alle Menschen in selber Weise auf Stress reagieren oder zwangsläufig Belastungssymptome entwickeln.

Einführung in das BeSOS Modell

Das Verständnis des Überlebensmodus, in den Schülerinnen, Schüler und Lehrkräfte unter Stress geraten können, ist grundlegend für jede Maßnahme zur Verbesserung des Lernumfelds. Aus der Projektkompetenz heraus entstand ein Modell, welches sowohl das akademische Lernen als auch das psychische Wohlbefinden berücksichtigt und Ihnen als Lehrkraft praktische Strategien an die Hand gibt, ein achtsames und verständnisvolles Umfeld zu schaffen.

Indem Lehrkräfte den Überlebensmodus erkennen und gezielt ansprechen, können sie stressbedingte Reaktionen abmildern und die Lernfähigkeit steigern. Zudem hilft es Lehrpersonen, ihre eigene Stress-Resilienz zu verbessern, was für die Aufrechterhaltung eines positiven Lernklimas und einer guten Beziehungskultur unerlässlich ist.

Mit BeSOS bieten wir einen praktischen Rahmen für den Umgang mit Stress und emotionalen Herausforderungen. Unser Modell visualisiert die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden in der Schule als ein Haus:

Selbstwahrnehmung: Ein tiefes Verständnis der eigenen Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen.

Selbstwirksamkeit: Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, Herausforderungen erfolgreich zu meistern

Selbstregulation: Die Fähigkeit, eigene Emotionen und Reaktionen bewusst zu steuern.

Beziehung geht vor: Positive Beziehungen zu Mitschülerinnen und Mitschülern sowie Lehrkräften, die ein unterstützendes soziales Netzwerk bilden.

Um das Haus herum symbolisiert das Element der Bedeutung und des Sinnerlebens, wie essentiell es ist, Sinn in unserem Tun zu finden. Dies gibt dem gesamten Modell Stabilität und Kontext.

Das Kellergeschoss repräsentiert den Überlebensmodus, einen Zustand, in dem Stress und Angst dominieren und rationale Denkprozesse sowie die Lernfähigkeit blockiert werden. Dieser Modus dient als biologischer Schutzmechanismus, der in akuten Gefahrensituationen eine Rückzugsmöglichkeit bietet.

Das Kellergeschoss repräsentiert den Überlebensmodus, einen Zustand, in dem Stress und Angst dominieren und rationale Denkprozesse sowie die Lernfähigkeit blockiert werden. Dieser Modus dient als biologischer Schutzmechanismus, der in akuten Gefahrensituationen eine Rückzugsmöglichkeit bietet. Es ist entscheidend, dass wir uns dieser emotionalen und physischen Reaktionen bewusst sind und lernen, sie zu regulieren.

Der Keller zeigt nicht nur die Risiken des verlängerten Aufenthalts in diesem Zustand auf, sondern betont auch seine essentielle Schutzfunktion, die uns in Momenten echter Bedrohung zur Seite steht.

Kurz gesagt:

Im „Überlebenskeller“ sind Kinder außerhalb der Reichweite pädagogischer Interventionen.

Dieses Modell soll Ihnen als Lehrkraft helfen für Kinder die Zeit (täglich 6 bis 8 Stunden) in der
Schule erlebbar so sicher zu gestalten, dass sie nicht in den Überlebensmodus fallen.

In den weiteren Artikeln dieser Webseite werden wir detailliert auf jedes dieser Elemente eingehen und praxiserprobte Methoden sowie nützliche Werkzeuge im Rahmen unserer Toolbox vorstellen, die Ihnen dabei helfen werden, sowohl sich selbst als auch Ihre Schülerinnen und Schüler effektiv zu unterstützen. Zusätzlich haben wir das Modell in seiner abstrakten Form erweitert und in ein Hafenmodell verwandelt, um Ihnen die Beratung und Kommunikation mit Ihren Schülerinnen und Schülern zu erleichtern. Bleiben Sie neugierig:

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