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Element: Beziehung zuerst

Viele Lehrkräfte, die seit Jahren im Beruf stehen, könnten bei dem Satz „Beziehung zuerst“ denken: „Was glauben die, was ich den ganzen Tag mache?“

Natürlich weiß jede erfahrene Lehrkraft, dass Unterricht weit mehr ist als die bloße Vermittlung von Fakten. Gerade deshalb lohnt es sich, den Aspekt der Beziehung noch bewusster in den Fokus zu rücken. In Zeiten, in denen der Druck auf Schulen und Lehrkräfte zunimmt, ist es unerlässlich, sich der eigenen Rolle nicht nur als Wissensvermittler, sondern auch als Beziehungsmanager bewusst zu werden.

Denken Sie an Ihre eigene Schulzeit zurück: Welche Lehrkräfte sind Ihnen in positiver Weise in Erinnerung geblieben? Vielleicht war es jemand, der Ihnen das Gefühl gab, gesehen und ernst genommen zu werden. Oder war es jemand, der Sie auch in ungeliebten Fächern motiviert und gefördert hat? Vielleicht war es genau diese Lehrkraft, die Sie inspiriert hat, selbst den Beruf zu ergreifen. Was machte diese Personen so prägend für Sie?

Jetzt drehen Sie die Frage um: Gibt es Lehrkräfte, an die Sie negativ zurückdenken? An solche, die mit Strenge und Distanz unterrichteten, ohne eine Beziehung aufzubauen? Oft prägen uns diese Begegnungen stärker, als uns bewusst ist – sowohl im positiven als auch im negativen Sinne.

Als Lehrkraft haben Sie täglich die Chance, genau diesen Unterschied im Leben Ihrer Schülerinnen und Schüler zu machen. Ihr Verhalten und Ihre Beziehungsgestaltung haben direkten Einfluss auf die Biografien Ihrer Schüler. Viele werden sich in Jahren an Sie erinnern – und es wird weniger um den Unterrichtsstoff gehen, sondern darum, wie Sie sie behandelt haben.

Ihre Präsenz im Klassenzimmer, die Art und Weise, wie Sie auf individuelle Bedürfnisse eingehen und wie Sie die Beziehungen gestalten, kann für Ihre Schüler ein Wendepunkt sein. Sie können Schülerinnen und Schüler so prägen, dass sie Selbstvertrauen entwickeln, Herausforderungen annehmen und sich gesehen fühlen – und manchmal sogar einen Weg einschlagen, den sie ohne Ihre Unterstützung nicht gegangen wären.

Lehrkraft als Leuchtturm

Im Hafenmodell repräsentiert die Schule einen sicheren Ort, an dem Schülerinnen und Schüler wie Schiffe ihren Ankerplatz finden und alles erhalten können, was sie für die offene See brauchen. Denn wenn sie “Segel setzen”, begegnen Ihnen auf ihrem Weg Stürme, Untiefen und viele andere Herausforderungen, auf die sie sich vorbereiten müssen.

Sie als Lehrkraft sind der Leuchtturm, der ihnen Orientierung und Halt bietet. Damit sind Sie für die Schülerinnen und Schüler ein unverrückbarer Orientierungspunkt, der nicht nur den “sicheren Hafen” anzeigt, sondern auch die Küstenlinie, d.h. die Grenzen der sicheren Fahrwasser. Ihre Rolle geht also über das Vermitteln von Wissen hinaus – Sie schaffen eine Lernumgebung, die auf Authentizität, Präsenz und einer klaren Beziehungsgestaltung basiert.

Der Leuchtturm steht für die Verlässlichkeit einer unverrückbaren Haltung. Er symbolisiert nicht nur Orientierung, sondern auch Beständigkeit. Ihre ruhige und verlässliche Präsenz gibt den Schülerinnen und Schülern das Gefühl von Sicherheit, besonders in stressigen Zeiten. Dies ist entscheidend, wenn Lernende durch Unsicherheiten oder Stress in den Überlebensmodus geraten.

Alltagsbeispiel

Ein Schüler kommt regelmäßig gestresst und unruhig in den Unterricht. Er scheint abwesend, reagiert gereizt und beteiligt sich nicht. Ihr erster Reflex könnte sein, ihn zu ermahnen oder ihn aufzufordern, sich zu konzentrieren. Doch als Leuchtturm wissen Sie, dass diese Reaktionen oft auf tiefere Unsicherheiten hinweisen. Statt Druck auszuüben, signalisieren Sie durch Ihre ruhige Präsenz, dass Sie ihn wahrnehmen und unterstützen. Vielleicht fragen Sie ihn nach der Stunde, wie es ihm geht, oder bieten ihm an, in einer ruhigen Ecke des Klassenzimmers einen Moment durchzuatmen.

Authentizität: Fundament von Vertrauen und gelingender Beziehung

Authentizität ist der Kern jeder guten Beziehung – und das gilt besonders im Klassenzimmer. Schülerinnen und Schüler spüren sofort, ob Sie als Lehrkraft wirklich hinter dem stehen, was Sie sagen. Authentisch zu sein bedeutet, dass Sie sich nicht verstellen, sondern ehrlich und verlässlich agieren. Diese Echtheit schafft Vertrauen und gibt den Lernenden Sicherheit. Ein anderes Wort für Authentizität kann daher Glaubwürdigkeit sein, die ein wichtiges Fundament für Vertrauen ist.

In unserem Bild des Leuchtturms symbolisiert das helle und kraftvolle Leuchtfeuer diese Authentizität, die den Schülerinnen und Schülern Orientierung bietet. Fehlt es an Authentizität, wird dieses Leuchtfeuer schwächer und verliert an Strahlkraft und Klarheit. Die Schüler können sich nicht mehr auf ihren Weg konzentrieren und sicher ihren eigenen Kurs halten. Wir kennen das im eigenen Leben: Bei dichtem Nebel, schlechter Sicht und in “unbekannten Gewässern” ist sicheres und vorausschauendes Navigieren sehr schwer und anstrengend. Wir sind dann auf helle Leuchtfeuer angewiesen, an denen wir uns orientieren können, um nicht verloren zu gehen.

Durch eine glaubwürdige und verlässliche Präsenz strahlt unser Leuchtfeuer hell genug, um Lernenden auch in schwierigen Situationen den Kurs zu weisen. Wenn Sie authentisch sind, bleiben Sie der unverrückbare Fixpunkt, der ihnen zeigt, dass sie Ihnen vertrauen können – egal, wie stürmisch die See des Schulalltags ist. Denn der Leuchtturm weist nicht die “richtige” Richtung, sondern zeigt unmissverständlich an, wo er steht und wo er zu finden ist. In diesem Sinne ist der Leuchtturm für sein Leuchtfeuer verantwortlich, nicht für die jeweilige Richtung und mögliche “Kurskorrekturen”.

Fehlende Authentizität in der eigenen Rolle als Lehrkraft ist in unserem Bild wie eine dichte Wolkendecke, die das Leuchtfeuer verdunkelt und seine Strahlkraft deutlich vermindert.

Alltagsbeispiel

Sicherlich haben Sie auch schon Tage erlebt, an denen Sie sich erschöpft oder weniger leistungsfähig gefühlt haben. Statt diese Gefühle zu unterdrücken oder sich zwanghaft “perfekt” zu verhalten, können Sie das den Schülerinnen und Schülern auf angemessene Weise mitteilen: „Heute bin ich nicht ganz so fit, aber wir machen das Beste daraus.“ Solche Äußerungen schaffen Nähe, weil sie zeigen, dass auch Sie ein Mensch mit Grenzen sind. Dadurch bauen Sie Vertrauen auf, und die Schüler spüren: Sie sind echt, und genau das gibt ihnen Sicherheit.

Präsenz, klare Grenzen und Autorität

In unserem Hafenmodell sind Sie als Lehrkraft der verlässliche Orientierungspunkt für Ihre Schülerinnen und Schüler. Ihre Autorität entsteht nicht durch laute Worte oder strenge Anweisungen, sondern durch eine ruhige, klare und beständige Kommunikation. Ziel ist es, Grenzen zu setzen, die den Lernenden Sicherheit bieten, ohne unnötigen Druck auszuüben. So schaffen Sie eine vertrauensvolle Lernumgebung, in der sich Ihre Schülerinnen und Schüler sicher und unterstützt fühlen.

Wenn es stressig wird – sei es durch Konflikte in der Klasse oder durch andere Herausforderungen im Schulalltag – kann es passieren, dass auch Sie in den Überlebensmodus geraten. In solchen Momenten, wenn Überforderung oder Gefühle der Ohnmacht überwiegen, neigt man leicht dazu, auf autoritäre Haltungen zurückzugreifen: Kontrolle, Macht und Strenge rücken in den Vordergrund. Das passiert oft ganz automatisch, weil wir versuchen, die Kontrolle wiederzuerlangen. (Kontrollrestauration) Doch diese Reaktionen schaffen eher Distanz als Verbindung und entsprechen nicht den Bedürfnissen von Schülerinnen und Schüler, die ihrerseits nach Selbstwirksamkeit und Selbstwertschutz streben.

Konflikte im Schulalltag gehören sicherlich zu den stressigsten Momenten, und viele Lehrkräfte kennen die Erschöpfung, die sich daraus ergibt. Es ist daher wichtiger denn je, sich zu fragen, wie wir eine positive und ruhige Lernatmosphäre schaffen können.

Eine Schlüsselfrage ist, wie Sie als Lehrkraft dazu beitragen können, dass Ihre Schülerinnen und Schüler den Überlebensmodus verlassen und wieder zur Ruhe finden. Wie erreichen wir es, dass das Klassenzimmer ein Ort der Sicherheit und Entspannung wird?

Schülerinnen und Schüler suchen nach Vertrauen, Sicherheit, Orientierung und einem Gefühl der Unterstützung. Wenn Sie als Lehrkraft diese Werte verkörpern, schaffen Sie eine Beziehung, die auf Vertrauen basiert. So gelingt es ihnen, aus dem Überlebensmodus herauszutreten und sich wieder auf das Lernen einzulassen.

Es geht nicht darum, perfekte Lösungen zu haben, sondern darum, bewusst auf Ihre Präsenz und den Beziehungsaufbau zu setzen. Ihre Ruhe und Gelassenheit haben eine immense Wirkung auf das Klima in der Klasse – und genau das macht den Unterschied.

Alltagsbeispiel

Ein Schüler wirft genervt seinen Stift quer durchs Klassenzimmer. Sie gehen ruhig auf den Schüler zu und sagen freundlich, klar und bestimmt: „Das ist nicht okay. Heb den Stift bitte auf.“ Danach geben Sie ihm ruhig die Gelegenheit, zu erklären, was los ist.

So zeigen Sie Präsenz und setzen klare Grenzen, ohne die Situation eskalieren zu lassen. Die Botschaft, die Sie senden, ist klar: „Ich habe die Kontrolle über den Raum, und ich sehe, was hier passiert. Aber ich möchte Dich auch verstehen.“ Auf diese Weise bewahren Sie die Beziehung zu dem Schüler und ermöglichen gleichzeitig, dass er sich gehört fühlt, ohne das störende Verhalten zu akzeptieren.

Übrigens: Neben den zwischenmenschlichen Faktoren spielt auch die Biologie eine entscheidende Rolle beim Lernen: Oxytocin, das „Bindungshormon“. Es steigert das Wohlbefinden, stärkt emotionale Bindungen und wirkt im Gehirn als echter „Motivationsturbo“.

Positive Beziehungen im Klassenzimmer fördern also nicht nur das soziale Miteinander, sondern steigern direkt die Lernmotivation und erhöhen die Offenheit sowie Aufnahmefähigkeit der Schüler für neue Inhalte.

Mit anderen Worten

Es ist nicht die Frage, ob Sie Beziehungen zu Ihren Schülerinnen und Schülern aufbauen – das tun Sie in jeder Interaktion. Entscheidend ist, diese Beziehungen bewusst zu gestalten und nicht dem Zufall zu überlassen.

Als Lehrkraft sind Sie der Leuchtturm, der den Schülerinnen und Schülern auf ihrer Reise Orientierung gibt. Das Verständnis für die neurobiologischen Prozesse hinter dem Überlebensmodus verändert, wie Sie als Lehrkraft Beziehungen im Klassenzimmer gestalten. Die Kenntnisse der physiologischen und emotionalen Aspekte unseres Verhaltens verändern die eigene Wahrnehmung und Reaktion auf unsere Umgebung; sie erweitern dadurch nicht nur unser eigenes Verhaltensrepertoire, sondern beeinflussen direkt das Verhalten unserer Mitmenschen (Co-Regulation).

Ein Verständnis für die physiologischen Grundlagen unseres Verhaltens führt zu Empathie und einem bewussten Umgang mit Konflikten und Herausforderungen im Klassenzimmer.

Verständnis für Stressreaktionen: Wenn Sie wissen, dass ein Schüler nicht “nicht will”, sondern “nicht kann”, weil sein Gehirn in den Überlebensmodus geschaltet hat, ändern sich Ihre Erwartungen und Ihre Reaktion. Anstatt auf Sturheit oder Ungehorsam zu reagieren, können Sie gezielte Schritte unternehmen, um den Schüler emotional zu stabilisieren und wieder für das Lernen verfügbar zu machen. Das Reptiliengehirn arbeitet autonom und nicht intentional.

Beruhigende Präsenz und Co-Regulation: In stressigen Momenten reagieren Schülerinnen und Schüler stark auf die emotionale Präsenz ihrer Lehrkraft. Ihre eigene Ruhe und Klarheit hilft ihnen, aus dem Überlebensmodus herauszukommen. Sie schaffen eine sichere Atmosphäre, in der sich die Schüler emotional stabilisieren können. Diese Co-Regulation – also die gegenseitige Beeinflussung emotionaler Zustände – wirkt wie ein Anker in stürmischen Situationen und stärkt das Vertrauen in die Beziehung.

Förderung einer stressfreien Lernumgebung: Wenn Schülerinnen und Schüler wissen, dass sie in einem sicheren, unterstützenden Raum sind, in dem Fehler erlaubt sind und Stress minimiert wird, können sie ihr volles Lernpotenzial ausschöpfen. Ein vertrautes, angstfreies Klassenklima lässt sie sich auf den Lernstoff einlassen, anstatt gegen innere Ängste anzukämpfen.

 

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